Mutig führen, authentisch sein: Was ich von Sun Tzu über Führung gelernt habe
Im letzten Blogbeitrag habe ich über die vier Prinzipien von Sun Tzu geschrieben: Schnelligkeit wie der Wind, Ruhe wie der Wald, Entschlossenheit wie das Feuer und Standhaftigkeit wie der Berg. Diese Metaphern zeigen, dass Führung nicht nur aus Durchsetzungskraft besteht, sondern eine Balance aus Beweglichkeit, Klarheit, Mut und Stabilität erfordert.
Doch während ich diese Konzepte in meinem eigenen Führungsalltag reflektierte, wurde mir bewusst, dass ich lange einem Missverständnis aufgesessen war. Ich glaubte, dass Führung eine Frage der Stärke sei – und Stärke bedeutete für mich zunächst Härte. Ich war überzeugt, dass es darum geht, sich durchzusetzen, rational zu bleiben und Distanz zu wahren. Ich versuchte, Führung so auszuüben, wie ich es bei erfolgreichen Vorbildern gesehen hatte, in der Annahme, dass es einen bestimmten Weg gibt, um ernst genommen zu werden.
Doch je länger ich mich mit Sun Tzu und mit meiner eigenen Entwicklung als Führungskraft beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass wahre Stärke nicht in Härte liegt, sondern in Selbstkenntnis und Flexibilität. Führung ist kein starrer Zustand, sondern ein kontinuierlicher Prozess des Lernens, Anpassens und Positionierens.
Schnelligkeit mit Bewusstsein – Warum Agilität nicht Hektik bedeutet
"Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du das Ergebnis von hundert Schlachten nicht zu fürchten."
Diese Worte Sun Tzus lehren, dass echte Handlungsfähigkeit nicht aus blinder Reaktion besteht, sondern aus Bewusstsein und kluger Vorbereitung. Ich erinnere mich an viele Situationen, in denen ich das Gefühl hatte, sofort handeln zu müssen. Oft ging es um “burning Platforms”, Situationen in denen mir gerade als Führungskraft in neuen Rollen eine schnelle Problemlösung nahegelegt wurde. Entscheidungen sollten schnell getroffen werden, weil Geschwindigkeit als Zeichen von Kompetenz galt. Agil wurde mit Geschwindigkeit verwechselt. Doch oft zeigte sich: es nicht die Schnelligkeit selbst, die über Erfolg oder Misserfolg entschied, sondern die Fähigkeit, im richtigen Moment handlungsfähig zu sein.
Ich begann zu erkennen, dass echte Agilität nichts mit reiner Geschwindigkeit zu tun hat, sondern mit der Kunst, den richtigen Zeitpunkt zu wählen. Manchmal ist es nötig, sich sofort zu bewegen – manchmal ist der klügste Schritt, sich gut vorzubereiten, in Szenarien zu denken, innezuhalten und erst dann zu handeln, wenn sich eine klare Richtung abzeichnet.
Ruhe als Strategie – Warum Souveränität nichts mit Passivität zu tun hat
"Ein kluger Anführer ist ruhig und unaufgeregt, denn nur so kann er den Sturm klar erkennen, der sich am Horizont abzeichnet."
In meiner frühen Zeit als Führungskraft fiel es mir schwer, in stressigen Situationen gelassen zu bleiben. Ich glaubte, dass Führung bedeutet, immer sofort Antworten zu haben, immer souverän aufzutreten und niemals Unsicherheit zu zeigen. In einem meiner Jobs wurde von mir erwartet, dass ich immer auf Knopfdruck für 250 Projekte in einem Konzern auskunftsfähig bin. Doch mit der Zeit erkannte ich, dass wahre Souveränität nicht bedeutet, immer eine Lösung parat zu haben – sondern den Raum zu halten, in dem Lösungen entstehen können.
Sun Tzus Metapher des Waldes lehrt, dass Ruhe nicht Stillstand ist. Ein Wald wächst, er verändert sich, aber er bleibt gleichzeitig stabil. Genau das ist es, was Führung in schwierigen Situationen braucht: Die Fähigkeit, stabil zu bleiben, während sich die Dinge um einen herum verändern.
Ich begann, nicht mehr auf jede Herausforderung sofort zu reagieren sondern in ein vertrauensvolles Netzwerk zu investieren. Ich erlaubte mir, Entscheidungen bewusst zu treffen, statt mich von äußeren Erwartungen drängen zu lassen. Und genau darin lag meine größte Entwicklung: nicht in der Fähigkeit, alles unter Kontrolle zu haben, sondern darin, mich selbst nicht von Unsicherheiten treiben zu lassen und selbst zu agitieren.
Mut zur Sichtbarkeit – Warum Entschlossenheit nicht Lautstärke bedeutet
"Zeige dich stark, wenn du schwach bist, und schwach, wenn du stark bist."
Lange glaubte ich, dass Sichtbarkeit in der Führung bedeutet, überall präsent zu sein, deutlich zu sprechen, mein Wissen aktiv zu zeigen. Als Persönlichkeit, die nicht ein angeborenes Talent zur Bühnen-Wilsau sich auszeichnet und die mit einem hohen Maß an Integrität durch die Welt zieht, fiel mir das in all den Jahren als Führungskraft schwer.
Doch das Studien des Buchs von Sun Tzu änderte auch hier meine Perspektive. Er beschreibt Führung anders: als eine Strategie, in der Präsenz nicht durch Lautstärke, sondern durch kluges Handeln entsteht. Ich begann zu erkennen, dass es nicht darum geht, immer den Raum einzunehmen – sondern die Momente zu nutzen, in denen eine klare Botschaft die größte Wirkung entfaltet. Ich lernte, dass Führung nicht bedeutet, überall mitzureden, sondern gezielt Akzente zu setzen. Und dass Mut nicht darin besteht, laut zu sein, sondern darin, dann zu sprechen, wenn es wirklich zählt. Auch das habe ich als mein fundament heute in der Social Media Welt gemacht.
Führung mit Haltung – Standhaftigkeit ohne Starrheit
"Ein weiser Anführer passt sich den Umständen an, so wie Wasser seine Form je nach Gefäß verändert."
In meiner Anfangszeit als Führungskraft glaubte ich, dass ich eine feste Haltung bewahren muss, um Respekt zu erhalten. Ich dachte, dass Anpassung Unsicherheit zeigt und dass eine klare Meinung bedeutet, sie unter allen Umständen zu verteidigen.
Doch Sun Tzu zeigt ein anderes Bild: Standhaftigkeit bedeutet nicht, sich gegen jede Veränderung zu wehren, sondern sich anpassen zu können, ohne die eigene Identität zu verlieren.
Ich erkannte, dass wahre Standhaftigkeit nicht in unnachgiebiger Konsequenz liegt, sondern in einer klaren inneren Orientierung. Ich lernte, meine Werte zu kennen und ihnen treu zu bleiben – aber gleichzeitig offen dafür zu sein, meinen Weg zu überdenken, wenn neue Informationen oder Entwicklungen es erforderten.
Führung auf meine Weise – und auf Ihre Weise
Wenn ich heute auf meine Entwicklung als Führungskraft in mehr als 20 Jahren zurückblicke, sehe ich nicht den einen Moment, in dem ich „gelernt habe zu führen“. Führung ist keine abgeschlossene Fähigkeit, sondern eine fortlaufende Reflexion. Ich habe gelernt, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt – sondern nur den, der für mich selbst stimmig ist.
Deshalb begleite ich heute Frauen und Männer, die ihren eigenen Führungsstil reflektieren und gestalten wollen. Frauen und Männer, die nicht härter werden wollen, sondern klarer. Frauen und Männer, die nicht lauter werden wollen, sondern bewusster. Frauen, die sich nicht verbiegen wollen, sondern mit ihrer ganz eigenen Art Führung wirksam gestalten.
Wenn Sie das Gefühl haben, dass es in Ihrer Führung weniger um Kampf und mehr um Klarheit gehen sollte, dann lassen Sie uns darüber sprechen.
Quellen
Sun Tzu. Die Kunst des Krieges.
Avolio, B. J., & Gardner, W. L. (2005). Authentic Leadership Development. The Leadership Quarterly, 16(3), 315-338.
Bass, B. M. (1990). From transactional to transformational leadership. Organizational Dynamics, 18(3), 19-31.
Collins, J. (2001). Good to Great: Why Some Companies Make the Leap... and Others Don’t. Harper Business.
Denning, S. (2018). The Age of Agile. AMACOM.
Eagly, A. H., & Carli, L. L. (2007). Through the Labyrinth: The Truth About How Women Become Leaders.Harvard Business Review Press.
Edmondson, A. C. (1999). Psychological Safety in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350-383.