Expansive Empathie und Zukunftsdenken – Wie die Verbindung mit unserem zukünftigen Selbst bessere Entscheidungen ermöglicht

Führung bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die nicht nur heute sinnvoll erscheinen, sondern auch in Zukunft Bestand haben. Doch oft sind Führungskräfte so sehr mit den Anforderungen des Tagesgeschäfts beschäftigt, dass langfristiges Denken auf der Strecke bleibt. Die Gegenwart fühlt sich greifbar an, während die Zukunft vage und unsicher erscheint. Doch wer sich nur auf kurzfristige Vorteile konzentriert, riskiert, langfristige Chancen zu übersehen.

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über die Prinzipien von Sun Tzu und deren Bedeutung für eine reflektierte, authentische Führung gesprochen. Dabei wurde deutlich, dass wahre Stärke nicht in Härte, sondern in Selbstkenntnis und Flexibilität liegt. Diese Erkenntnis lässt sich weiterdenken: Wie können wir unser zukünftiges Selbst in unsere heutige Führung integrieren? Wie können wir langfristig tragfähige Entscheidungen treffen, die nicht nur für den Moment, sondern für die kommenden Jahre Bestand haben?

Unser zukünftiges Selbst – eine fremde Person?

Unser zukünftiges Ich bleibt oft eine abstrakte Vorstellung. Studien zeigen, dass unser Gehirn es ähnlich wahrnimmt wie eine fremde Person. Diese Distanz führt dazu, dass wir Entscheidungen treffen, die kurzfristig angenehm erscheinen, aber langfristig nicht in unserem besten Interesse liegen. Wir sparen nicht genug für die Zukunft, vermeiden schwierige, aber notwendige Veränderungen oder bleiben in vertrauten Strukturen, selbst wenn wir spüren, dass es Zeit für etwas Neues wäre.

Hal Hershfield, Psychologe an der Stanford University, beschreibt dieses Phänomen als psychologische Distanz zum zukünftigen Selbst. Menschen, die sich aktiv mit ihrem künftigen Ich auseinandersetzen, treffen bessere Entscheidungen – sei es finanziell, gesundheitlich oder beruflich. Doch warum fällt es so schwer, sich mit der eigenen Zukunft emotional zu verbinden?

Daniel Kahneman erklärt in Thinking, Fast and Slow, dass unser Gehirn dazu neigt, kurzfristige Belohnungen über langfristige Erfolge zu stellen. Der sogenannte Present Bias führt dazu, dass wir uns von der Gegenwart leiten lassen, selbst wenn unser langfristiges Selbst darunter leidet. Wir glauben, dass zukünftige Erfolge weniger wichtig sind als das, was uns jetzt sofort Erleichterung oder Sicherheit gibt.

Dieses Phänomen begegnet uns in der Führung ständig. Entscheidungen werden hinausgezögert, weil die langfristigen Konsequenzen nicht greifbar genug erscheinen. Veränderungen werden gemieden, weil die Unsicherheit des Übergangs emotional stärker wiegt als der langfristige Nutzen. Führungskräfte, die sich regelmäßig mit ihrem zukünftigen Selbst verbinden, entwickeln jedoch ein besseres Gespür für langfristige Strategien und handeln mit größerer Weitsicht.

Führung erfordert jedoch, in Szenarien zu denken, Entscheidungen zu antizipieren und bewusst zu gestalten. Dabei hilft uns ein Konzept, das ich als expansive Empathie bezeichne: die Fähigkeit, nicht nur mit anderen, sondern auch mit unserem zukünftigen Selbst in Verbindung zu treten.

Expansive Empathie – die Brücke zur Zukunft

Empathie ist ein zentrales Element von Führung – sie ermöglicht es uns, die Perspektiven anderer zu verstehen und in Entscheidungen einzubeziehen. Expansive Empathie erweitert diesen Fokus und beinhaltet die bewusste Vorstellung unseres zukünftigen Ichs: Wer will ich in fünf oder zehn Jahren sein? Welche Entscheidungen würden mir aus dieser Perspektive heraus helfen, ein erfülltes, stabiles und erfolgreiches Leben zu führen?

Wenn wir eine Verbindung zu unserem zukünftigen Selbst aufbauen, verschieben sich unsere Prioritäten. Wir entwickeln einen Blick für Nachhaltigkeit in unseren Entscheidungen und stellen uns Fragen wie:

  • Welche langfristigen Konsequenzen hat meine heutige Entscheidung für mein Team und mich?

  • Welche Werte und Prinzipien möchte ich über die Jahre hinweg verkörpern?

  • Welche Herausforderungen sollte ich heute angehen, um morgen resilienter zu sein?

Zukunftsdenken in der Führungspraxis

Expansive Empathie kann konkret in den Führungsalltag integriert werden:

  1. Selbstreflexion durch Journaling – Schreiben Sie regelmäßig Ihre Gedanken, Ängste und Hoffnungen in Bezug auf Ihre berufliche Zukunft auf. Dies stärkt die emotionale Verbindung zu Ihrem zukünftigen Ich und hilft, bewusste Entscheidungen zu treffen.

  2. Visualisierungstechniken nutzen – Stellen Sie sich detailliert vor, wie Ihr zukünftiges Ich in einer herausfordernden Führungssituation agiert. Welche Stärken und Fähigkeiten zeigt es? Diese mentale Übung hilft, langfristige Strategien in der Gegenwart zu verankern.

  3. Achtsamkeit und Emotionsregulation praktizieren – Wer sich bewusst mit seinen Emotionen auseinandersetzt und lernt, Impulse zu kontrollieren, trifft weitsichtigere Entscheidungen. Regelmäßige Meditation oder Atemübungen können helfen, den Present Bias zu reduzieren.

  4. Psychologische Sicherheit im Team fördern – Ein Umfeld schaffen, in dem langfristiges Denken und reflektierte Entscheidungen möglich sind. Wenn sich Teammitglieder sicher fühlen, wagen sie es eher, über langfristige Ziele und Veränderungen nachzudenken.

  5. Zukunfts-Dialoge führen – Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für strategische Reflexion. Statt nur auf akute Probleme zu reagieren, stellen Sie sich bewusst Fragen zur langfristigen Entwicklung Ihres Teams und Ihrer Organisation.

  6. Mentale Zeitreisen machen – Studien zeigen, dass Menschen bessere Entscheidungen treffen, wenn sie sich selbst konkret in einer zukünftigen Situation vorstellen. Schreiben Sie einen Brief aus der Perspektive Ihres zukünftigen Ichs an Ihr heutiges Selbst: Welche Ratschläge würden Sie sich geben?

  7. Langfristige Investitionen priorisieren – Auch wenn kurzfristige Erfolge verlockend sind: Nachhaltige Entscheidungen zahlen sich auf lange Sicht aus. Setzen Sie auf Kompetenzen, Netzwerke und Werte, die Bestand haben.

Mentale Simulation: Dein zukünftiges Ich als Führungskraft erleben

Eine bewährte Methode, um die Distanz zum eigenen Zukunfts-Selbst zu verringern, ist die mentale Simulation. Diese Technik wird in der Neurowissenschaft und im Leadership Coaching genutzt, um zukünftige Szenarien emotional greifbar zu machen.

Übung zur Zukunftsvisualisierung:

Schließe die Augen und stelle dir vor, es ist das Jahr 2044.

  • Wo bist du?

  • Was hast du in deiner Karriere erreicht?

  • Welche Werte haben dich bis hierher geleitet?

  • Welche Entscheidungen haben dich in diese Zukunft geführt?

Nun stelle dir vor, du könntest dein zukünftiges Ich um Rat bitten: Welche eine Entscheidung solltest du heute treffen, um dieser Vision näherzukommen?

Je klarer dein Bild von deiner Zukunft ist, desto einfacher wird es, heute mutige Entscheidungen zu treffen. Wer sich bewusst mit seinem zukünftigen Ich auseinandersetzt, stärkt seine Fähigkeit, auch unter Unsicherheit langfristig sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Quellen

  • Kahneman, D. (2011). Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux.

  • Hershfield, H. E. (2011). Future self-continuity: How conceptions of the future self transform intertemporal choice. Journal of Consumer Research, 39(1), 115-129.

  • Edmondson, A. C. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350-383.

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