Erkennen Sie Ihre erfüllten Wünsche als Führungskraft?

Vor ein paar Monaten hatte ich ein Erlebnis, das mich zum Nachdenken brachte.

Ich war tief in die Vorbereitung eines neuen Coaching-Programms für Führungskräfte vertieft. Mein Kopf war voller Strategien, meine Gedanken rasten – ich wollte, dass alles perfekt wird. Die Anspannung spiegelte die Bedeutung dieser Arbeit wider.

Plötzlich klingelte mein Telefon. Am anderen Ende war eine Führungskraft, die ich seit Monaten begleite. Sie hatte gerade die Beförderung erhalten, auf die sie jahrelang hingearbeitet hatte. Doch statt Freude klang Unsicherheit in ihrer Stimme.

"Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin. Die Erwartungen sind enorm. Was, wenn ich nicht gut genug bin?"

Ich hörte zu, während sie schilderte, wie sie sich in ihrer neuen Position fühlte: überfordert, gestresst, voller Zweifel. Sie erinnerte mich an so viele andere Führungskräfte, die ich im Coaching begleite – Menschen, die mit vollem Einsatz für ihre Ziele kämpfen, um dann festzustellen, dass das Erreichen dieser Ziele nicht die Zufriedenheit bringt, die sie erwartet hatten.

Diese Situation ist nicht ungewöhnlich. Führungskräfte erleben oft, dass sie sich schnell an neue Erfolge gewöhnen und dass die Zufriedenheit über das Erreichte nur von kurzer Dauer ist. Kaum ist eine Herausforderung gemeistert, taucht die nächste auf. Die Anerkennung für Erfolge verblasst schnell, die Verantwortung wächst weiter, und die ursprüngliche Begeisterung weicht neuen Sorgen. Dahinter steckt ein psychologisches Phänomen: hedonische Adaptation.

Hedonische Adaptation bei Führungskräften: Warum Erfolg nicht dauerhaft glücklich macht

Warum gewöhnen wir uns an Erfolg?

Hedonische Adaptation beschreibt die menschliche Tendenz, sich an neue Lebensumstände – sei es ein beruflicher Aufstieg, eine größere Verantwortung oder ein finanzieller Erfolg – rasch zu gewöhnen. Das Glücksgefühl, das mit dem Erreichen eines Ziels verbunden ist, hält meist nur kurz an. Schon nach wenigen Wochen oder Monaten fühlt sich das, was vorher erstrebenswert war, selbstverständlich an.

Dieses Muster betrifft Führungskräfte besonders stark. Die Karriereleiter ist oft eine Abfolge von immer höheren Zielen. Sobald eine Stufe erreicht ist, erscheint sie als Zwischenetappe, und die nächste Herausforderung rückt in den Fokus. Die Fragen, die sich viele stellen, lauten dann:

  • „Wie kann ich meine Position halten und weiter wachsen?“

  • „Was muss ich tun, um noch erfolgreicher zu werden?“

  • „Warum fühlt sich dieser Erfolg nicht so erfüllend an, wie ich dachte?“

Diese Dynamik führt dazu, dass viele Führungskräfte in einem ständigen „Laufband-Modus“ gefangen sind – immer in Bewegung, immer auf der Suche nach dem nächsten Erfolg, aber selten in der Lage, innezuhalten und das Erreichte zu würdigen.

Die Wissenschaft hinter der hedonischen Adaptation

Die Psychologen Brickman et al. (1978) untersuchten dieses Phänomen anhand einer berühmten Studie mit Lottogewinnern und Menschen mit Querschnittslähmung. Sie stellten fest, dass:

  • Lottogewinner zunächst einen deutlichen Glücksanstieg erlebten, aber innerhalb eines Jahres zu ihrem ursprünglichen Glücksniveau zurückkehrten.

  • Menschen, die eine schwere Verletzung erlitten hatten, zunächst sehr unglücklich waren, aber nach einiger Zeit wieder ein vergleichbares Lebenszufriedenheitsniveau wie zuvor erreichten.

Diese Studie zeigt: Äußere Umstände – seien sie positiv oder negativ – haben langfristig weniger Einfluss auf unser Glücksempfinden, als wir denken.

Für Führungskräfte bedeutet das: Selbst die angestrebte Beförderung, die größere Verantwortung oder das steigende Einkommen sorgen nur vorübergehend für Zufriedenheit. Langfristig kehrt man zu einem individuellen emotionalen Grundzustand zurück.

Eine weitere Studie von Diener, Lucas & Scollon (2006) bekräftigt diese Erkenntnis. Sie fanden heraus, dass Menschen eine Art „Set-Point des Glücks“ haben, zu dem sie nach positiven oder negativen Erlebnissen zurückkehren. Dieser Set-Point wird nicht nur von äußeren Erfolgen, sondern vor allem von persönlichen Denk- und Verhaltensmustern bestimmt.

Warum ist hedonische Adaptation für Führungskräfte besonders problematisch?

Gerade in Führungspositionen gibt es kaum einen Punkt, an dem man „fertig“ ist. Mit jeder neuen Verantwortung steigen die Erwartungen – von Vorgesetzten, von Mitarbeitenden und oft auch von einem selbst.

Dazu kommt, dass Erfolg in vielen Unternehmen eher stillschweigend vorausgesetzt wird. Erfolge werden oft nur kurz gefeiert, bevor der Fokus auf die nächste Herausforderung gelenkt wird. Eine Beförderung, die gestern noch ein großer Meilenstein war, fühlt sich heute bereits wie eine Selbstverständlichkeit an.

Diese Dynamik kann zu folgenden Herausforderungen führen:

  • Chronische Unzufriedenheit: Die innere Stimme sagt immer wieder: „Da geht noch mehr.“

  • Vergleich mit anderen: Anstatt das eigene Wachstum zu würdigen, schaut man auf Kolleginnen und Kollegen, die scheinbar noch erfolgreicher sind.

  • Fehlendes Innehalten: Der ständige Fokus auf die Zukunft verhindert, dass man die Gegenwart genießen kann.

Wie können Führungskräfte der hedonischen Adaptation entgegenwirken?

Die gute Nachricht: Es gibt Möglichkeiten, dieses Muster zu durchbrechen und eine nachhaltigere Form der Zufriedenheit zu entwickeln.

  1. Bewusste Reflexion und Dankbarkeit

    • Studien von Sheldon & Lyubomirsky (2012) zeigen, dass regelmäßige Reflexion über Erfolge und bewusste Dankbarkeit das Glücksempfinden langfristig stabilisieren können.

    • Praxis-Tipp: Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit, um sich bewusst zu machen, welche Erfolge Sie bereits erzielt haben. Notieren Sie sich jede Woche drei Dinge, die Sie erreicht haben.

  2. Den Moment bewusst erleben

    • Anstatt sofort nach dem nächsten Ziel zu greifen, ist es wichtig, positive Momente auszukosten.

    • Praxis-Tipp: Wenn Sie ein Ziel erreicht haben, feiern Sie es bewusst. Setzen Sie sich nicht sofort neue Aufgaben, sondern genießen Sie den Moment.

  3. Sich mit dem eigenen Vergangenheits-Ich vergleichen, nicht mit anderen

    • Der Blick auf andere kann dazu führen, dass Sie sich ständig als ungenügend empfinden.

    • Praxis-Tipp: Fragen Sie sich regelmäßig: „Was hätte mein früheres Ich über meinen jetzigen Erfolg gesagt?“

  4. Erfahrungen über materielle Ziele stellen

    • Forschungen zeigen, dass persönliche Erfahrungen – wie eine inspirierende Weiterbildung oder der Aufbau eines großartigen Teams – langfristig erfüllender sind als materielle Erfolge.

    • Praxis-Tipp: Investieren Sie in Weiterentwicklung, nicht nur in Statussymbole.

Fazit: Erfolg bewusst wahrnehmen und würdigen

Hedonische Adaptation ist eine Herausforderung für viele Führungskräfte. Sie führt dazu, dass wir uns schnell an Erfolge gewöhnen und immer weiter nach dem nächsten Ziel streben. Doch wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir dabei die Fähigkeit, das Hier und Jetzt wertzuschätzen.

In den nächsten Tagen lade ich Sie ein, bewusst innezuhalten:

  • Denken Sie an einen Karriereschritt, den Sie früher angestrebt haben – und erkennen Sie, dass Sie ihn heute leben.

  • Erinnern Sie sich daran, dass Sie in einem Moment sind, den Ihr früheres Ich sich gewünscht hat.

  • Sagen Sie sich selbst: „Wenn das nicht schön ist, was dann?“

Vielleicht leben Sie gerade mitten in einem erfüllten Wunsch – Sie müssen es nur erkennen.


Wissenschaftliche Studien und Bücher zur hedonischen Adaptation:

  • Brickman, P., Coates, D., & Janoff-Bulman, R. (1978). Lottery winners and accident victims: Is happiness relative? Journal of Personality and Social Psychology, 36(8), 917–927. https://doi.org/10.1037/0022-3514.36.8.917

  • Diener, E., Lucas, R. E., & Scollon, C. N. (2006). Beyond the hedonic treadmill: Revising the adaptation theory of well-being. American Psychologist, 61(4), 305–314. https://doi.org/10.1037/0003-066X.61.4.305

  • Frederick, S., & Loewenstein, G. (1999). Hedonic adaptation. In D. Kahneman, E. Diener, & N. Schwarz (Eds.), Well-being: The foundations of hedonic psychology (pp. 302–329). Russell Sage Foundation.

  • Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect Theory: An analysis of decision under risk. Econometrica, 47(2), 263–292. https://doi.org/10.2307/1914185

  • Lyubomirsky, S., Sheldon, K. M., & Schkade, D. (2005). Pursuing happiness: The architecture of sustainable change. Review of General Psychology, 9(2), 111–131. https://doi.org/10.1037/1089-2680.9.2.111

  • Sheldon, K. M., & Lyubomirsky, S. (2012). The challenge of staying happier: Testing the hedonic adaptation prevention model. Personality and Social Psychology Bulletin, 38(5), 670–680. https://doi.org/10.1177/0146167212436400

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